Teilweise Wiedergabe in Nora Bauers Musik-Feature: Die
Gesänge der Euridice – oder der verbotene Blick. Eine
Opernrolle aus dem Schattenreich, WDR 1.1.2004
„Es gibt in diesem Stück 3 Ebenen, eine
tänzerisch-gestische, eine musikalische ... und eine
sprachliche. Eurydike und die Tänzer/innen erzählen in
ihrer Darstellung/ ihrem Tanz/ ihren Gesten den alten Orpheus-Mythos
... nach, jedoch aus der Perspektive Eurydikes. Sie sind, unterstützt
von der Musik, die ‚Hauptfiguren‘ dieses Stückes.
Die 3 Sängerinnen/ Erzählerinnen ... haben eine andere
Funktion. Sie sind in ihrer Rolle als ‚Sprecherinnen‘
nicht in das Bühnengeschehen integriert, sondern
‚Kommentatorinnen‘, bzw. ‚allwissende‘
Erzählerinnen am Rande, die aus dem Wissen von einem und in
(weiblicher) Reaktion auf einen jahrhundertealten, immer von neuem in
Text und Musik gestalteten Mythos von Mann und Frau berichten. In
ihrer Rolle als Sängerinnen werden sie zu ‚Gefährtinnen‘
Eurydikes.“ (Iris ter Schiphorst in der Einleitung zu ihrer
Partitur)
„Die Figur der Eurydike ist ein Produkt des
Erzählens. In den alten Texten der Mythenüberlieferung
werden ihr nur wenige Worte in den Mund gelegt. Eurydike spricht
nicht über sich. Diese sprachliche Leerstelle, als die sie im
Mythos fungiert, war für mich der Ausgangspunkt für das
Erzählen über Eurydike. Erzählt wird in der Oper von
zwei Momenten der Gewalt – körperlicher (Vergewaltigung
durch den Bienengott Aristeus) und seelischer Gewalt (Reduktion
Eurydikes zur Muse von Orpheus‘ Gesangskunst). Es sind dies
jeweils Wendepunkte, Auslöser für Verwandlungen. Eurydikes
erste Transformation: das Erkalten, Erstarren, das Absinken in die
Unter(bewußtseins)welt, das Zurückgleiten in archaische
Mann-Frau-Mythen, in „alte Geschichten“. Den zweiten
Wendepunkt markiert die Stelle im Mythos, in der Orpheus‘ Blick
die Frau zur Rückkehr in die Unterwelt bestimmt. In unserer
Version öffnet Eurydike an dieser Stelle die Augen. Bis dahin
sprachlos, beginnt sie zu sprechen und sagt, was sie sieht. Wer so
mundtot in der Mythenüberlieferung erscheint, der wollten wir in
ihrem Monolog am Ende die Sprache wiedergeben - ein verzerrtes
Sprechen, das Sprechen nach einem langen Schweigen.“ (Karin
Spielhofer: Auf der Suche nach einer Sprache für Eurydike)